Gedanken zur Jahreslosung Verfasser: Dr. Stephan Schaede, Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland

Alles Prüfen! Das fängt ja gut an, dieses Jahr 2025. Alles prüfen bitte! Klingt wie eine echte Jahreslosungsvollbremsung. Anstatt endlich einmal wildentschlossen loszulegen, werden wir aufgefordert, bloß nichts einfach so durchgehen zu lassen. Bei dieser Prüfung dürfen wir uns nicht einmal mit Stichproben zufriedengeben. Alles soll geprüft werden! Richtig ätzend wirkt das. Offensichtlich fing das schon vor fast 2000 Jahre gleich so an mit dem Apostel Paulus, von dem diese Forderung stammt. Bereits im allerersten Brief, der von ihm überliefert ist, in dem ersten Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki steht das drin. Im letzten Kapitel gibt er mit auf den Weg. »Prüfet alles«. Klingt so, als ob der Apostel Paulus unter die Kontroletti gegangen wäre. Paulus der religiöse Oberkontrolletti, der die christlicheGemeinde dazu auffordert Kontrolletti zu werden. Hauptsache alles prüfen!

Also wirklich, was für ein Jahresanfang mit dieser Jahreslosung. Noch ist nichts gewuppt. Schon steht so eine Art Glaubens-TÜV ins Haus. Bringt das in Schwung? Bringt das Fahrt als Ansage für das Jahr, als Prüferinnen und Prüfer das Leben mit Glaubens-TÜV-Plaketten vollzupflastern? Also ich weiß nicht.

Was hat sich das Auswahlgremium für die Jahreslosung nur dabei gedacht? Soll sich die hierzulande mehr oder weniger in den frommen Seilen hängende christliche Gemeinde als eine Art Wach- und Schließgesellschaft für Glaubenswahrheiten neu erfinden? So nach dem Motto: »Wir fangen gleich gut an mit der Jahreslosung. Mit 2025 zeigen wir christlich Haltung. Alles wird bei uns geprüft. Schlechtes ist ausgeschlossen. Nur das Gute, ja, das Wahre, Gute und Schöne soll zugelassen werden …«

Ich fürchte, daraus wird nichts. Daraus wird erstens nichts, weil das einfach unattraktiv ist. So wird das Christentum nicht überleben können, als eine Horde von Besserwissern, die den Glaubensstock verschluckt haben und von morgens bis abends mit prüfendem Blick, mit prüfendem Herzschlag, mit prüfendem Kopf durchs Leben gehen. So springt einfach kein Funke über.

Daraus wird zweitens nichts, weil jedenfalls die evangelischen Kirchen im Jahr 2025 eh nicht den Eindruck vermitteln können, an der Spitze der Bewegung überzeugender Prüfungen unterwegs zu sein. Gerade haben sie im Jahr 2024 die lange schwelenden Fragen sexualisierter Gewalt noch einmal so richtig eingeholt. Von wegen: Alles prüfen. Da wurde, so zeigt sich, in der Vergangenheit zu wenig geprüft, schlimmer noch, bisweilen schludrig geprüft, ganz schlimm nix geprüft, und unsäglich schlimm, die falschen, nämlich die von sexualisierter Gewalt Betroffenen auf die Probe gestellt oder gar abgekanzelt. Böses und Abgründiges wurde erhalten. Schön wär’s. Prüfet alle, das Gute behaltet! Was ist, so kann sich der interessierte Christenmensch fragen, eigentlich von einer Kirche zu halten, die sich zwar redlich Mühe gegeben hat, die eigenen Akten zur kritischen Analyse zur Verfügung zu stellen, aber es einfach nicht schaffte, sie vollständig zusammenzustellen?

Immerhin: Eine Welle evangelischer Selbstprüfungen zieht durchs Land, Fehler werden eingestanden, das Tempo zieht an. Über alle Ebenen sind Präventionsprogramme aufgelegt und Schulungen durchgeführt worden.

Leider dringt das öffentlich kaum durch. Öffentlich kommt eher ein anderes Bild rüber, ein Bild, das weis macht: Eigentlich bleibt von der evangelischen Kirche kaum etwas Gutes übrig, wenn alles geprüft wird. Und unausgesprochen steht eine Erwartung im Raum, die Erwartung, dass sich die Kirche jetzt gefälligst selbstkritisch zu Tode prüft. Das ist nun allerdings ein schräges, ein ungerechtes Bild, ein Bild, das vielem, was an Gutem vor Ort in den Gemeinden bewirkt wird, nicht gerecht wird.

Und hier bekommt die Ansage des Paulus »Prüfet alles, das Gute behaltet« auf einmal eine ganz andere Fahrt.

»Prüft alles, das Gute behaltet!« – Am Ende ist das doch eine starke Ansage, eine Ansage, die klar macht: Lasst Euch von den Negativbotschaften nicht den Verstand zuhängen. Prüft wirklich alles! Nehmt alles in den Augenschein. Alles, was in der Kirche und an ihren kreativen Rändern unterwegs ist und gemacht wird, von der Chaos,- Vesper- und Gartenkirche über Kinderfreizeiten und Landesjugendcamps bis zur Sterbebegleitung, Betreuung ganz junger und uralter Menschen bis zu Posaunenchorfestivals und Bibelentdeckertagen.

Es gibt nicht nur das Prüfen aus einer Haltung des argwöhnischen Kontrolletti heraus. Es gibt auch ein Prüfen aus unbändiger Neugier aufs Leben heraus, einer Neugier, die es wissen will, einer Neugier, die hinter die Fassade schaut und Verborgenem auf der Spur ist, einer Neugier, die daran glaubt, dass auch in schwierigen Lebens- und Gemeindekonstellationen immer noch etwas geht.

Bei genauerem Hinsehen hat Paulus dieses kreative Prüfen im Sinn. Denn kurz zuvor ruft der den Leuten in Thessaloniki zu: »Den Geist unterdrückt nicht«. So gesehen geht es um ein geistreiches Prüfen, um ein Prüfen, das sich im mutigen Experiment austobt, ins Risiko geht, um Neues herauszufinden.

Alles prüfend der Planbarkeit fröhlich den Laufpass geben, zum neugierigen Glaubensdraufgänger werden, einfach mal ausprobieren, was gut sein kann, gut tun kann und überraschend gut gehen kann. Darauf kommt es an. Was aus dem Alltäglichen und Gewohnten ausbricht, hat es verdient, auf die Probe gestellt und nicht argwöhnisch beäugt zu werden.

Fragen Sie sich, wie das gehen kann? Paulus gibt einen entscheidenden Hinweis. Es heißt ja nicht, prüfe Du allein alles und alle. Sondern prüft! Prüft gemeinsam. Es geht darum, gemeinsam geistreich zu werden. Jeden verrückten Vorschlag, auch fremd erscheinende Ideen, nehmt sie auf, redet sie nicht tot. Lest zwischen den Zeilen der verrückten Ideen, prüft sie, betastet sie gemeinsam von allen Seiten, befühlt sie, und geht, wenn sie Euch mitreißen, ins Risiko, auf dass Neues entsteht.

Jesus von Nazareth hat es mit seinen Leuten vorgemacht, er, der von Gott begeisterte Neugierige unter den Menschen. Er ging mit seinen Leuten hinaus auf die Straßen und Plätze mit Lust am Lebensexperiment, mit Lust am überraschenden Wort. So hat er das Leben immer wieder auf die Probe gestellt, sich nicht mit dem zufrieden gegeben, was der Fall ist, und dabei alles riskiert. Gerade in dieser Neugier, so glaubte auch Paulus, habe sich Gott gezeigt.

Worauf warten wir noch? Prüft alles – … Gott verspricht uns, dass sich Gutes zeigt, dass er sich darin selber zeigt. Die Frage, wofür die Kirche, wofür wir denn noch gut seien, erledigt sich so geradezu spielerisch von selbst.